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Welthandel auf holpriger Fahrt in Abu Dhabi

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Ob zunehmender Protektionismus, Lebensmittelsicherheit, Fischereirechte, Klimawandel oder digitaler Handel – die Liste an Herausforderungen für den internationalen Handel ist lang. Genug Stoff, der auf der alle zwei Jahre stattfindenden wichtigsten Konferenz der Welthandelsorganisation (WTO), auf der die Handelsminister und Delegationen in Abu Dhabi diese Woche zusammenkamen, diskutiert werden konnte. Es gab sogar so viel Diskussionsbedarf, dass die Konferenz um einen Tag verlängert werden musste, um zumindest in einigen Punkten zu einer einvernehmlich zu treffenden Einigung zu gelangen. Keine einfache Aufgabe bei 166 Mitgliedern.

Und keine einfache Aufgabe im Umfeld erhöhter geopolitischer Spannungen. Die Handelsbeziehungen zwischen den USA und China haben sich unter dem damaligen US-Präsidenten und jetzigen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump ab 2018 deutlich verschlechtert, begleitet von Drohungen, aus der WTO auszusteigen, Russlands Einmarsch in der Ukraine und die damit verbundenen Handelssanktionen haben zu einer Neuausrichtung globaler Warenströme geführt, und das jüngste Beispiel für eine Beeinträchtigung des globalen Welthandels durch Geopolitik sind die Attacken der Huthi-Rebellen auf Handelsschiffe im Roten Meer. Daneben haben die Corona-Pandemie und extreme Wetterereignisse zu einem Umdenken in Bezug auf Lieferketten geführt.

Rufe nach Autarkie wurden lauter, die Zahl der Schutzmaßnahmen stieg. So hat sich die Zahl von Handelsbeschränkungen laut Global Trade Alert zwischen 2017 und 2022 fast verfünffacht. Insbesondere sind die G20-Länder (die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer) in letzter Zeit restriktiver geworden und führten zwischen Mai und Oktober 2023 mit 49 Stück mehr handelsbeschränkende als handelserleichternde Maßnahmen mit 44 Stück für Waren ein. Seit 2009 kumuliert unterlagen Ende 2022 11,3 % der Importe in G20-Länder handelsbeschränkenden Maßnahmen. Gemessen bis Oktober 2023 erreichte dieser Anteil mit 11,8 % sogar einen neuen Höchststand.

Warenhandel in Mrd. US-Dollar, der von handelserleichternden oder einschränkenden Maßnahmen der G20-Länder betroffen ist

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Quelle: WTO, ING Economic & Financial Analysis

Betrachtet man jedoch den Wert des Warenhandels, so übersteigt der Anteil neuer handelserleichternder Maßnahmen bei weitem den Anteil an neuen handelsbeschränkenden Maßnahmen, wie unser Chart of the Week zeigt – auch wenn sich der Abstand im letzten Überprüfungszeitraum deutlich verringert hat. Zwischen Mai 2023 und Oktober 2023 betrug das Handelsvolumen handelserleichternder Maßnahmen 318,8 Mrd. US-Dollar und handelsbeschränkender Maßnahmen 246 Mrd. US-Dollar, gegenüber 691,9 Mrd. US-Dollar und 88 Mrd. US-Dollar im Zeitraum davor.

Und auch die Aufnahme zweier neuer Länder, Timor-Leste und der Komoren, in die WTO dieses Jahr – die erste Aufnahme neuer Mitglieder seit sieben Jahren – gibt Anlass zur Hoffnung, dass eine internationale Organisation, die sich mit den Regeln für globalen Handel befasst, nach wie vor gebraucht wird. Gerade auch für kleine Mitgliedsländer, auch wenn der Aufnahmeprozess ganze acht Jahre bzw. 17 Jahre gedauert hat. Unterdessen warten 22 weitere Länder auf Aufnahme. Eine Abkehr von der WTO und damit international geltenden Handelsregeln sieht anders aus. Zumindest vorerst. Denn der Präsidentschaftswahlkampf in den USA dürfte mit Argusaugen begleitet werden, könnten am Ende doch eine Neuauflage von Zöllen, Handelsstreitigkeiten und Austrittsdrohungen aus der WTO stehen. Der Weg zu konsensualen Lösungen wird damit nicht weniger holprig.
Autor: Inga Fechner