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Krise im Roten Meer – was sind die Folgen für Welthandel und Inflation?

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Lieferketten und der internationale Handel kommen nicht zur Ruhe. Nach einem massiven Anstieg der Seefrachtkosten in Folge der Pandemie-Beschränkungen, infolgedessen Frachtkosten beispielsweise auf der Route von Shanghai an die Westküste der USA um 360 Prozent im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 2009-2020 anstiegen, konnten in den letzten Wochen nach einer Normalisierung der Preise erneut starke Anstiege verzeichnet werden. So vervierfachten sich die Kosten auf der Route von Shanghai nach Rotterdam im Januar gegenüber Dezember. Der Grund dafür ist, dass seit Mitte November letzten Jahres Houthi-Rebellen verstärkt Handelsschiffe im Roten Meer als Reaktion auf Israels Einsatz im Gazastreifen angreifen.

Das Rote Meer, das zwischen Nordost-Afrika und der Arabischen Halbinsel verläuft, stellt mit dem Suez-Kanal und der Meerenge von Bab el-Mandeb Europas wichtigste Wasserstraße nach Asien und Ostafrika dar. Normalerweise werden 12 Prozent des globalen Warenhandels über diese Route abgewickelt. Aktuell meiden allerdings zahlreiche Schifffahrtsgesellschaften das Rote Meer allerdings und nehmen einen bis zu 20 Tage dauernden Umweg um Afrika und das Kap der Guten Hoffnung in Kauf. Die Umwege, bzw. die daraus resultierenden Verzögerungen, haben bereits im Dezember zu einem Rückgang der Fahrplanzuverlässigkeit um 5 Prozentpunkte gegenüber dem Vormonat geführt.

Doch obwohl die Transportkosten in den letzten Wochen rapide gestiegen sind, ist ein tiefgreifendes Übergreifen auf Endprodukte und damit auf die Inflation unwahrscheinlich. Im Gegensatz zu dem durch die Pandemie ausgelösten immensen Anstieg der weltweiten Güternachfrage, ist der Konsum momentan keine herausragende Antriebskraft der Konjunktur. Die wirtschaftliche Erholung in China ist nach wie vor fragil, in den USA bestehen Abwärtsrisiken und in der Eurozone dürfte sich nur eine allmähliche Erholung zeigen. Selbst wenn Frachtraten hoch blieben, Öl- und Gaspreise anziehen würden und sich in steigenden Inputpreisen niederschlagen sollten, wird das Inflationsniveau nicht das des Vorjahres erreichen. Während der Pandemie trugen die Unterbrechungen in den Lieferketten bis zu 2,5 Prozentpunkte zur Preisinflation bei den persönlichen Konsumausgaben in den USA bei. Da die internationalen Transportkosten nach Untersuchungen der EZB jedoch weniger als 1 Prozent der gesamten Produktpreise ausmachen, dürfte ein Übergreifen auf die Inflation begrenzt sein, da die globalen Auswirkungen der Angriffe vom Roten Meer diesmal geringer sind. Zumindest sind wir von den Niveaus, die der Global Supply Chain Pressure Index zu Pandemiezeiten aufgrund von hoher Nachfrage, Staus in Häfen, fehlenden Containern und Arbeitskräften, verzeichnet hat, und die sich auch auf das weltweite Preisniveau niedergeschlagen haben, noch weit entfernt, wie unser Chart der Woche zeigt.

Die Angriffe auf Schiffe im Roten Meer belasten die weltweiten Verbraucherpreise und globale Lieferketten derzeit nicht
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Quelle: LSEG Datastream, ING Economic & Financial Analysis

Dennoch gab es auf Produzentenseite bei einigen Herstellern bereits leichte Einschränkungen im Herstellungsprozess, da auf bestimmte Vorprodukte länger gewartet werden musste. Laut dem Kiel Trade Indicator ist der Welthandel im Dezember 2023 um 1,3% gegenüber dem Vormonat gesunken, was auf die Ereignisse am Roten Meer zurückzuführen ist. Größere Produktionsausfälle sollten jedoch mittlerweile verhindert werden können, da die Umfahrung des Suezkanals planbar ist. In der Tat werden momentan über 90 Prozent der Containerschiffe, die normalerweise das Rote Meer und den Suezkanal passieren, umgeleitet. Daher dürften die aktuellen Ereignisse – wenn auch schlagzeilenträchtig – Inflation und Welthandel nicht stärker belasten. Spätestens im Sommer steht dann aber wieder die nächste Bewährungsprobe an: Wenn Rhein, Panama-Kanal und Mississippi wieder Niedrigwasserstände verzeichnen, dürften auch die Frachtkosten erneut in die Höhe getrieben werden.
Autor: Inga Fechner