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Eine unbequeme Wahrheit über Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit

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„Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung“, heißt es. In der vergangenen Woche ereilte die Bundesregierung die Einsicht, dass die deutsche Wirtschaft nicht nur „etwas untertrainiert sei“, oder „einen Espresso nötig habe“. Der Wirtschaftsstandort Deutschland sei nicht mehr wettbewerbsfähig, lautet nun der Tenor. Der erste Schritt zur Besserung scheint also getan, allerdings kommt die Einsicht reichlich spät.

Dafür, dass die Mehrheit der deutschen Industrieunternehmen die eigene Wettbewerbsfähigkeit sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU seit rund eineinhalb Jahren negativ beurteilt, gibt es viele Gründe. Beispielsweise die Tatsache, dass das Produzieren von Gütern zu niedrigen Kosten und das Exportieren dieser Güter in den Rest der Welt, kurz, das deutsche Geschäftsmodell, in Zeiten von hohen Energiepreisen, grüner Transformation und sich verändernden Handelsströmen nicht mehr funktioniert. Der einstige Wachstumsmotor des Landes hat sich in den vergangenen zwei Jahren zum Sorgenkind der Wirtschaft entwickelt und belastet die Wirtschaftsaktivität zusätzlich zum schwachen privaten Konsum infolge der hohen Inflation und rückläufiger Investitionsaktivität aufgrund der Zinswende der EZB. Das Ergebnis: im Durchschnitt lag das Wirtschaftswachstum seit dem zweiten Quartal 2022 bei 0 Prozent und im vergangenen Jahr schrumpfte die deutsche Wirtschaft um insgesamt 0,3 Prozent.

Der Blick auf diese Daten legt nahe, dass es sich bei der Entwicklung der vergangenen Jahre nicht um eine rein konjunkturelle, sondern auch um eine strukturelle Schwäche handeln dürfte. Was aufmerksamen Lesern unseres Blogs und Hörern unseres Podcasts bereits des Öfteren untergekommen sein dürfte, hat nun auch die Bundesregierung erkannt – das Wachstum bleibt aus, der Wirtschaftsstandort fällt zurück und um wieder an Wettbewerbsfähigkeit zu gewinnen, braucht es Maßnahmen um die Standortattraktivität zu fördern. Die aktuell diskutierten Ansätze reichen von Unternehmenssteuersenkungen bis hin zur Abschaffung des Solidaritätszuschlags für Unternehmen. Tatsächlich schienen Steuern und Abgaben für viele deutsche Unternehmen zuletzt aber gar nicht die größte Belastung für die preisliche Wettbewerbsfähigkeit darzustellen.

Relative Lohnstückkosten (Index, Q1 2009 = 100)
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Quelle: Europäische Kommission, ING Economic & Financial Analysis

Einer Umfrage des Instituts für deutsche Wirtschaft aus dem Juni 2023 zufolge bemerkten 35 Prozent der deutschen Unternehmen, verglichen mit der Zeit vor Beginn des Kriegs in der Ukraine bzw. vor der Pandemie, eine stärkere Belastung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit durch Steuern und Abgaben. Mehr als 80 Prozent aller befragten Unternehmen gaben allerdings an, dass die Lohnkosten die Wettbewerbsfähigkeit deutlich stärker belasten würden als in den Vorkrisenjahren.

Und wenn gestiegene Lohnkosten allein schon die preisliche Wettbewerbsfähigkeit belasten – was passiert, wenn die Produktivität nicht mitzieht? Das zeigen unser Chart of the Week und der Blick auf die vergangenen 15 Jahre. Die relativen Lohnstückkosten, also die Arbeitskosten pro produzierte Einheit, sind in Deutschland in Relation zu den übrigen Eurozone-Ländern in diesem Zeitraum nämlich um rund 12 Prozent angestiegen. In anderen Teilen der Eurozone, insbesondere im Süden, sind die relativen Lohnstückkosten hingegen deutlich zurückgegangen. In Griechenland lagen sie im 3. Quartal 2023 um satte 25 Prozent niedriger als noch im 1. Quartal 2009, in Spanien um 13 Prozent und in Italien um 8 Prozent.

Das sich nun seit mehr als einem Jahrzehnt verschlechternde Verhältnis zwischen wirtschaftlichem In- und Output in Deutschland und damit der Verlust der preislichen Wettbewerbsfähigkeit dürften sich zumindest kurzfristig noch weiter fortsetzen. Denn während Deutschland das Schlusslicht der Eurozone ist, was die wirtschaftlichen Aussichten betrifft, steht die Volkswirtschaft mit an oberster Stelle, wenn es um bisherige Lohnabschlüsse und aktuelle Lohnforderungen geht. Keine guten Nachrichten für die bereits angeschlagene Industrie. Denn in Konsequenz könnte das bedeuten, dass sowohl die ausländischen Direktinvestitionen als auch die Nachfrage nach in Deutschland produzierten Gütern längerfristig auf niedrigem Niveau bleiben.

Die unbequeme Wahrheit über Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit? Vorm Verlust derselbigen wurden zu lange die Augen verschlossen. Es ist bei weitem nicht die erste strukturelle Schwachstelle, die durch die vielfältigen Krisen der vergangenen vier Jahre zutage gebracht wurde, die nach jahrelanger Verschleppung zusehends schwieriger zu behandeln ist. Der Behandlungsplan für die abgeschlagene Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland beinhaltet hoffentlich stärkere Medizin als einen starken Espresso.
Autor: Franziska Biehl